Staatsfeind Nr. 1

11.03.2014

Staatsfeind Nummer 1

Wie sollen wir jungen Menschen die politikverdrossen sind, erklären, was wir mit der, nicht immer für jedem gerechten, Demokratie haben. Desöfteren höre ich die ostalgische Meinung: „Schön, was sie da angerichtet haben und jetzt muss ich das, wieder gerade biegen. Die DDR war doch gut, wir hatten bezahlbare Mieten, ein gleichberechtigte Gesundheitsversorgung (wenn es denn war wäre), jeder hatte Arbeit (war der Betroffen anders als vom Staat gewünscht, nur wie sah das aus) und wir hatten Brötchen für fünf Pfennig. Die letzte Behauptung stimmt allerdings. Diese Worte knallte mir eine Lehrerin einer 10. Klasse nach einer Führung über das Grenzdenkmal vor den Kopf. Meine Reaktion war im ersten Moment schockierend und mir fehlten die Worte. Ich hatte nur einen Satz zu ihr gesagt: „Schade, dass Sie auf Schüler zugelassen werden.“ und ließ sie dann stehen.

Umso mehr freut es den Grenzdenkmalverein eine Lesung mit Wolfgang Welsch zu organisieren. Am 15.03. um 18.00 Uhr haben wir in der Aula der Grundschule Hötensleben eine Lesung, die schon etwas Besonders ist, denn Welsch wird lesen, wozu eine Diktatur in der Lage ist. Wie kaum ein anderer hat er es am eigenen Leib erfahren.

Geboren wurde Wolfgang Welsch 1946 in Berlin. Er wuchs in einem christlichen Elternhaus auf. In seiner Schulzeit arbeite er übrigens mit Wolf Biermann zusammen. Er absolvierte das Abitur und besuchte danach eine Schauspielschule. Dabei schrieb Welsch kritische Gedichte über das System der DDR. Er war begabt und hatte mit der DEFA und Anstellungen am Deutschen Theater Perspektiven. Er bekam sogar einen Fördervertrag beim Deutschen Fernsehfunk.

Dennoch war er realistisch, konnte mit dieser DDR nicht eins werden und wurde 1964 beim Versuch, die DDR am Grenzübergang Boizenburg zu verlassen, festgenommen. Dafür wurde Welsch wegen "Republikflucht" zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Hammer ist und es ist wirklich einer, die Wortwahl ist möglicherweise nicht die Beste, aber wie soll so ein unmenschliches Verhalten bezeichnet werden, denn im Gefängnis von Bautzen täuschte man, dem abermals misshandelten Häftling im Februar 1968 eine Verurteilung zum Tod vor und stellte ihn zum Schein vor ein Exekutionskommando, um seinen Widerstandswillen zu brechen. Die Bundesregierung kaufte ihn 1971 frei.

Welsch studierte danach an der Universität Gießen Soziologie, Politik und Philosophie und schloss mit der Promotion 1977 in England ab.

Den Hass auf das Regime, das ihn jahrelang eingesperrt und gequält hatte, kann jeder verstehen.

Aber Welsch schloss nicht ab, den Hass hat er zwar hinter sich gelassen, aber er betätigte sich als Fluchthelfer und baute dazu ein effektives Netz auf, womit er alles in allem mehr als zweihundert DDR-Bürgern zur Flucht verhelfen konnte.

Die Stasi hatte es mehrfach auf in abgesehen und er wurde zum Staatsfeind Nummer eins. Er hatte viel Glück drei Mordversuche scheiterten.

Wolfgang Welsch hatte zum Beispiel 1981 die Sommerferien mit seiner Frau, seiner Tochter, einem engen Freund und dessen Partnerin in Israel verbracht. Eigenartigerweise erkrankte er schwer und es kam einem Wunder gleich, denn er überlebte den Anschlag. Die behandelnden Ärzte fanden in seinem Körper 6,5 mg Thallium, das entspricht dem Sechseinhalb-fachen der als tödlich geltenden Dosis.

Die Verantwortlichen fand Wolfgang Welsch erst nach der Wende. In seinen Unterlagen des MFS, natürlich nicht seinen, die Unterlagen über ihn die das Ministerium für Staatssicherheit angelegt hatte und die er in der Gauck-Behörde einsehen konnte, dabei erfuhr er, dass es nicht nur einen Mordanschlag auf ihn gegeben hatte, sondern drei Versuche, ihn zu töten. Ausgerechnet bei einem langjährigen Freund… Es erwartet Sie ein dramatischer aber auch erschreckender Abend.

Erich Mielke hat am 18. Mai 1980 den Befehl erteilt, den belastenden Fluchthelfer Wolfgang Welsch, der auch im BRD-Fernsehen gegen das DDR-Regime auftrat, zu liquidieren ("Operation Skorpion"). Bitte beachten Sie die Ausdrucksweise zu liquidieren. Alles weitere Erfahren Sie von Wolfgang Welsch persönlich. Für Fragen ist Herr Welsch offen und wird sie beantworten.

Der Führungsoffizier eines Attentäters, der es versuchte Welsch zu ermorden, erhängte sich nach seiner Festnahme 1992 in seiner Gefängniszelle.

Aus Furcht vor weiteren Anschlägen auf sein Leben zog Wolfgang Welsch 1992 für einige Jahre nach Lateinamerika. Schön das er zu uns kommt und erzählt, wie es war.